Erst auf Kriegsfuß, dann Waffenstillstand, nun Friedensabkommen

Mein Typ-1-Diabetes wurde am 3. Januar 1980 diagnostiziert. Ich war damals sieben Jahre alt. Die Zeit davor war die Hölle: Ich hatte ohne Ende Durst, musste ständig aufs Klo, war bis auf die Knochen abgemagert und nur noch „knatschig“ (wie man das bei einem Kind halt so nennt). Den Diagnosetag selbst habe ich positiv in Erinnerung: Nach dem Arztbesuch wollte meine Mutter erst einmal in Ruhe unter vier Augen mit meinem Vater reden, sodass meine Cousine und ich „Das Dschungelbuch“ im Kino gucken durften.

Danach ging es allerdings eher unheiter weiter. 1980 war noch Schweineinsulin am Start, es gab einen strengen Diätplan, der mich nie satt werden ließ, und für zuhause gab es nur Urintests – auf den „aktuellen“ Blutzuckerwert mussten wir jeweils eine Stunde beim Arzt warten. In der Pubertät bin ich dann ausgebrochen und habe ab da jegliche Süßigkeiten in mich hineingestopft, die mir in die Finger kamen. Das hat sich auch im Erwachsenenalter nicht geändert. Um nicht immer mehr Gewicht zuzunehmen, bin ich irgendwann auf den Trichter gekommen, einfach das Insulin wegzulassen – Insulinpurging. So habe ich Jahre und Jahrzehnte mit meinem Diabetes auf Kriegsfuß gelebt.

Erst vor 6 1/2 Jahren ist es dann endlich – auch dank der Unterstützung einer sehr einfühlsamen Diabetologin – zum Waffenstillstand, wenn nicht gar zum Friedensschluss zwischen mir und meinem Diabetes gekommen. Ich lebe jetzt ganz gut mit ihm, der HbA1c-Wert hält sich über viele Quartale stabil bei 6,2 Prozent. Und so habe ich zum 40. Geburtstag meines Diabetes folgende Einladung an ein paar Freundinnen verschickt: „Was tun, wenn sich die Diagnose des Diabetes zum 40. Mal jährt? Es feiern natürlich! Deshalb laden my dear old friend Mr. Bloodsugar und ich dich ein zum Kaffeetrinken am 3.1.2020 um 15:00 Uhr ins Residenz-Café.“ An meinem runden Diabetes-Jahrestag habe ich fröhlich Buttercremetorte gegessen – natürlich ohne dadurch den Blutzucker aus der Bahn zu werfen!

Leider gab es nur drei Wochen später – als nachträgliches Geburtstagsgeschenk?! – beim Augenarzt erstmals die Diagnose „milde bis mäßige diabetische Retinopathie“. Das war zuerst ein Schock, aber da ich nach Einschätzung meiner Diabetologin nichts besser machen muss und kann, versuche ich, gelassen zu bleiben und halte am Friedensschluss fest.