Mein Diabetesjubiläum ist ein Grund zum Jubeln!

Jedes Jahr am 4. Januar ist es soweit. Mein Diaversary, wie ihr es nennt. Ich nenne es Diabetesjubiläum, denn ich habe einen Grund zu jubeln: Vor genau 60 Jahren wurde bei mir Diabetes Typ1 diagnostiziert – und ich lebe immer noch! An den Diagnosetag selbst erinnere ich mich nicht, da ich erst zwei Jahre alt war. Mein Blutzucker lag über 800 mg/dL, und die Ärzte hofften, dass ich durchkommen würde. Meinen Eltern sagte man damals, ich würde maximal 30 Jahre alt werden – diese Lebenserwartung habe ich mit meinen 62 Jahren nun wohl locker überschritten.

An gewisse Dinge in meiner Kindheit erinnere ich mich jedoch sehr gut: das Kinderkrankenhaus in Bethel bei Bielefeld mit der roten Steintreppe und ihren abgerundeten Stufen, auf der wir Kinder auf einem Handtuch oder ähnlichem herrlich hinunterrutschen konnten. Das war zwar nicht erlaubt, aber wir taten es trotzdem. Manchmal musste ich die Rutschaktivitäten unterbrechen, da mir schummerig wurde. Schnell lief ich dann zu Schwester Hanna, die mir sofort einen Apfel oder auch anderes Obst gab. Wenn ich sagte, dass meine Knie wackeln, bekam ich auch mal eine Banane. Mein Blutzucker konnte so schnell nicht gemessen werden, weil das Labor feste Zeiten hatte und das Ergebnis erst Stunden später vorlag. Traubenzucker war schon damals kontraproduktiv, weil mir davon übel wurde und ich mich kurz darauf übergeben musste. Heute trinke ich Trauben- oder Apfelsaft, bei leichten Hypos esse ich leidenschaftlich gern Weingummi.

Auch Schwester Wobkea sehe ich in meinem Gedächtnis noch klar vor mir. Sie saß an der Pforte und begrüßte mich bei späteren Einlieferungen immer freundlich, meist mit den Worten: „Hallo Petra, dann suche ich mal ein Bett in einem schönen Zimmer für dich.“ Der Leiter der Kinderklinik, Prof. Dr. Müller, erklärte meinen Eltern und mir, dass ich ein ganz normales Kind sei und ein ziemlich normales Leben führen kann, wenn ich mich an einige Regeln halte. Im Nachhinein gebe ich ihm Recht, auch wenn es nicht immer einfach war.

Unsere Kinderärztin Frau Dr. Wilmanns begleitete mich bis zu ihrem Ruhestand durch sämtliche Höhen und Tiefen meines Diabeteslebens als Kind. Oft musste sie mich zu ihrem Bedauern ins Kinderkrankenhaus einweisen. In den 1960er Jahren war die Medizin noch längst nicht so weit entwickelt

wie heute. Viele können sich nicht vorstellen, dass es keine Blutzuckertestgeräte und -streifen, keine Einmalspritzen und geschweige denn Insulinpumpen gab.

Während meiner Kindheit und Jugend trieb ich sehr viel Sport. Ich glaube, dass es mir auch darum heute noch recht gut geht. Denn zu dieser Zeit stellte man mich auf Blutzuckerwerte zwischen 200 und 300 mg/dL ein, da eine panische Angst vor Hypoglykämien bestand. Gott sei Dank änderte sich diese Lehrmeinung in der Medizin am Ende meiner Jugend, und meine Einstellung wurde grundlegend geändert. Seit September 1985 trage ich nun eine Insulinpumpe. Ich habe zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht. Das finde ich immer noch toll!

Zum Schluss bedanke ich mich posthum bei meinen Eltern, die immer für mich da waren und viele Dinge für mich durchgekämpft haben. Dadurch bin auch ich ein bisschen zur Kämpferin geworden. Und dann noch ebenfalls posthum bei meiner Großmutter Elisabeth, die für mich der ruhende Pol in Kindheit und Jugend war. Ja und natürlich bei meinem Mann und meinen Kindern, die mich in manchen schwierigen Situationen unterstützt haben, sodass ich mich nie allein gefühlt habe. Manchmal möchte ich meinen Diabetes an den Nagel hängen, wenigstens für zwei bis drei Tage. Aber ich weiß, dass das nicht geht. Und so suche ich mir seit etlichen Jahren Ziele, die ich wirklich erreichen kann. Nun freue ich mich auf das Jahr 2020, auf Feiern mit und bei Freunden, auf Besuche bei meinen Kindern und auf unsere zwei geplanten Urlaube. Das sind Ziele, die ich erreichen und erleben kann, und das gibt unendlich viel Kraft.

Heutzutage kann man mit Typ-1-Diabetes gut leben, das ist meine ehrliche Meinung.