Meine Diabetes-Diagnose und mein Weg in die Online-Community

Momentan ist mal wieder so eine Phase, in der ich unheimlich viel um die Ohren habe. Auf der Arbeit ist viel los, in der Diabetes-Welt geht es rund, privat bin ich viel unterwegs und eine tolle Reise steht auch an. Ach ja – und ganz nebenbei ist da ja noch dieses Ding namens Diabetes, das ich dankenswerterweise auch noch managen darf. In meinem Kopf rauscht es also – und doch wandern meine Gedanken momentan immer wieder zurück ins Jahr 2009. Denn diese Woche jährt sich der Tag meiner Diagnose zum 10. Mal. Ich habe meine Diagnose auf meinem Blog immer mal wieder erwähnt – doch heute möchte ich ihr einen ganzen Artikel widmen. Story Time!

2009 – damals war ich gerade 18 Jahre alt geworden und frisch verliebt. Timo und ich hatten uns gerade erst kennengelernt. Der Diabetes war schon da, wir wussten es nur noch nicht (Stichwort: Katze im Sack gekauft!). Ich ging in die 12. Klasse, war voll auf mein Abi fokussiert und plante bereits, was danach kommen sollte. Schließlich stand mir die Welt offen! Außerdem war ich leidenschaftliche Handballerin und liebte es, mich beim Sport zu verausgaben.

Doch mir ging es nicht gut – und zwar über Monate hinweg. Der Sport war statt Spaß irgendwann nur noch Quälerei. Andauernd war ich krank und verlor Gewicht. Erkältungen, Muskelschmerzen, Blasenentzündungen… ständig saß ich in Wartezimmern. Das Highlight, auf das ich ewig hingefiebert hatte – Rock am Ring – erlebte ich wie durch einen grauen Schleier. Glücklicherweise ließ ich wegen der Einnahme von Antibiotika die Finger vom Alkohol. Sonst hätte es vielleicht brenzlig werden können. Nach dem Festival ging es zurück in die Schule. Dass man nach einem Festival-Wochenende müde und schlapp ist, ist ja wohl logisch, oder? Aber SO müde? Irgendwas war faul. Aber so richtig „Klick“ gemacht hatte es noch nicht. 

2009: Ostereiersuche = Kohlenhydratspektakel - alles mit unerkanntem Diabetes.

2009: Ostereiersuche = Kohlenhydratspektakel - alles mit unerkanntem Diabetes.

Erst als der Durst kam, wurde mir klar, dass wirklich etwas im Argen lag. Ich konnte kaum an mich halten: Im Kino verließ ich mitten im Film den Saal, um mir einen Liter Fanta (Fanta? Ernsthaft?) zu holen. In der Schule unterbrach ich den Unterricht und bat meine Mitschüler*innen und sogar meine Lehrer*innen um etwas zu Trinken. Einmal stieg ich sogar aus dem Schulbus aus und lief zur nächsten Tankstelle, weil ich die Viertelstunde Fahrt nicht aushalten konnte. Ich griff zum überzuckerten Eistee – was für eine super Idee! Als ich auch zu Hause nur noch aus riesigen Karaffen trank und diese im Nu leer waren, wusste ich: Das kann nicht normal sein!

Ich tat, was heutzutage jeder machen würde. Damals wurde ich allerdings sehr schräg dafür angeguckt: Ich tippte meine Symptome bei Google ein. Die Suchergebnisse waren ziemlich eindeutig: Durst, in Kombination mit Müdigkeit, war ein eindeutiges Indiz für Diabetes. Zu gleichen Teilen belustigt, verwirrt und besorgt, rief ich meinen Freund an und erzählte ihm von meiner Recherche. Auch er konnte es nicht glauben. Denn wie so viele Menschen verbanden wir das Wort Diabetes damals mit ungesundem Lebensstil, Übergewicht und hohem Alter – aber sicher nicht mit einer kerngesunden 17-jährigen Sportlerin! 

Doch mittlerweile war klar, dass eine Konsultation bei Dr. Google nicht ausreichen würde. Am nächsten Tag stand ich also wieder in einer Arztpraxis – meine Mutter war dabei, aber sehr still. Ich nannte meine Symptome und das Gesicht meiner Ärztin war plötzlich wie versteinert. „Oh.“ Sie kannte mich damals recht gut und der Schock war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie nickte ihrer Arzthelferin wortlos, aber vielsagend, zu und diese holte sogleich ein Blutzuckermessgerät heraus. Sie begann wieder zu sprechen: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass du…“ – ich unterbrach sie: „Diabetes. Ich weiß“. Ein Pieks und ein paar unendlich lange Sekunden später war es offiziell: Ich habe Diabetes Typ 1.

Ohne lang zu zögern, schickte uns die Ärztin zum einzigen Diabetologen der Stadt. Dort mussten wir vermutlich nicht lange warten, aber meine Erinnerungen an den Termin dort sind mehr als schwammig. Ich weiß nur noch, dass er mir meine erste Dosis Insulin spritzte – und ich sogar noch versuchte, mich dagegen zu wehren. Leider ist es ja nicht so spektakulär wie im Spielfilm, dass die Besserung ganz dramatisch und sofort einsetzt. Aber über die nächsten Stunden hinweg ging es zumindest aufwärts. 

Der Diabetologe organisierte alles Notwendige für einen einwöchigen Aufenthalt in einer Klinik. Währenddessen fuhren meine Mutter und ich zu meiner Schule und meldeten mich für den Rest der Woche ab. Ich konnte auch kurz mit meinen Freundinnen sprechen. Diese waren zutiefst schockiert, während ich in dem Moment ganz locker und zu Scherzen aufgelegt war. Zuhause packte ich meine Sachen und zum ersten Mal begann die Diagnose einzusickern: Diabetes. Zuckerkrankheit. Was sich nun wohl ändern würde? Eine Idee kam mir sofort: Süßigkeiten sind nun bestimmt Tabu! Also tat ich das absolut Logische: Ich futterte eine riesige Schüssel Fruit Loops mit Orangensaft!  1. Don’t knock it ’til you’ve tried it! Die Kombination ist super! 2. Ja, ich weiß – keine gute Idee. Keine reife Entscheidung. Aber was wusste ich damals schon?  

Die Woche in der Klinik war wie ein kleiner Urlaub. Damals war ich Privatpatientin, wurde hofiert und erstklassig betreut. Mir ging es jeden Tag besser. Und noch viel wichtiger: Ich wusste endlich, was mit meinem Körper los war und warum es mir in den letzten Monaten so schlecht ging (HbA1c 14%). Mir war zwar klar, dass sich mein Leben nun ändern würde. Aber das war für mich deutlich besser als Ungewissheit, Sorge und mysteriöses Sich-Krank-Fühlen. 

Das Insulinspritzen war zunächst etwas holprig: Ich wollte es noch nicht selbst machen, die Krankenpflegerin wollte es mir aber auch nicht ganz abnehmen. Also schlossen wir einen Kompromiss und hampelten zu zweit an der Spritze herum. Das fand ich dann so dermaßen albern, dass ich es danach doch lieber allein machte. Insgesamt war ich damals sehr pragmatisch, wollte möglichst viel lernen und selbstständig sein. Mein Fokus: Ich wollte zurück in mein normales Leben und so weiter machen, wie bisher. Ich war motiviert und entschlossen.

Doch die Honeymoon-Phase machte mir einen Strich durch die Rechnung. Andauernd veränderten sich meine Faktoren, bis ich schließlich ganze zwei Monate überhaupt kein Insulin spritzen musste. Es war so, als sei ich geheilt. Aber der Schein trügte natürlich. Denn danach durfte ich dabei zusehen, wie meine Bauchspeicheldrüse nach und nach vollends aufgab. Dieser Prozess war nicht einfach nur schmerzlich, sondern hinderlich. Ich war ungeduldig! Ich wollte die Sache mit dem Diabetes endlich „drauf haben“, wissen wo der Hase lang läuft. Damals ahnte ich noch nicht, dass dies ohnehin ein unerreichbares Ziel ist. 

Leider war meine ärztliche Betreuung nach der Einstellung überhaupt nicht gut. Der besagte einzige Diabetologe weit und breit hatte eine fantastische Gabe, Ängste und Selbstzweifel in mir zu säen und Motivation im Keim zu ersticken. Einfühlvermögen? Fehlanzeige! Hinzu kam, dass in dieser Zeit die Schweinegrippe grassierte. Aus lauter Übervorsicht um Menschen mit Diabetes als sogenannte Risikogruppe wollte er mich von Festivals und gefühlt jeder Art von Spaß und Abenteuer fernhalten. Festivalfern? Realitätsfern! Also entfernte ich mich von ihm – und driftete ab. 

2014

2014

Nun stand also wieder mein Leben im Mittelpunkt. Der Diabetes sollte möglichst keine Rolle spielen, wenig Energie und Aufmerksamkeit kosten. Gespritzt habe ich immer, allerdings meist nach Gefühl. Gemessen habe ich nur sehr selten und so verliefen die nächsten Jahre in einer Art Blindflug: Das Abitur und der Auszug von zu Hause, der Studienbeginn, meine erste eigene Wohnung und auch meine erste gemeinsame Wohnung mit Timo. Immer im Vordergrund: Leben! Aber immer irgendwo im Hinterkopf: Der Diabetes. Die Leichtigkeit, die ich mir selbst und meinem Umfeld vorspielte, wog in Wahrheit schwer. 

Deshalb versuchte ich über die Jahre immer wieder, neu zu starten und meinen Diabetes wirklich „in den Griff“ zu bekommen, wie man so schön sagt. Doch immer wieder verfiel ich in alte Muster. Zeitweise habe ich mein Messgerät damals Monate lang nicht angerührt. Fragt mich bitte nicht, wie ich mein Auslandssemester in Moskau inklusive Wodka-Intensivkurs überlebt habe. An der Motivationsspritze meines Arztes lag es jedenfalls nicht („Na ob sie das da drüber besser hinbekommen, sehen wir wohl hinterher!“). 

Obwohl ich meine Diagnose damals online selbst in die Hand genommen hatte, kam ich danach einfach nicht auf die Idee, weiter im Internet zu forschen. Hätte ich das getan, wäre vieles vielleicht anders gelaufen. Statt dessen fühlte ich mich allein mit meinem Schicksal, denn ich kannte niemanden in meinem Umfeld, der Diabetes hatte. Ich fühlte mich von niemandem so wirklich verstanden. Nicht von Freunden und Familie, und schon mal gar nicht von meinem Arzt. 

Der wichtigste Schritt war für mich, irgendwann endlich einen neuen Diabetologen zu suchen. Schließlich lebte ich mittlerweile in Köln und hatte ein wenig mehr Auswahl. Das gab mir wieder etwas Antrieb – dennoch war es ein Auf und Ab. Irgendwann folgte noch ein Arztwechsel. Wenn ich mich recht erinnere, rief ich bei einem meiner vielen Neustarts zwecks Terminfindung in meiner Praxis an und ließ mir sagen, dass mein Arzt die Praxis schon vor Monaten verlassen hatte. Ups! Also suchte ich wieder Anschluss und landete diesmal endlich in einer tollen Praxis. Ich fand einen Diabetologen, der sich selbst nicht wichtig nahm, sondern mich – die Patientin. Er hörte ruhig zu, zeigte Verständnis, lobte mich. Das hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Auch die kleinen Schritte erkannte er an, zum Beispiel, dass ich überhaupt bei ihm in der Praxis auftauchte. 

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Eine große Rolle spielte für mich damals auch, dass ich langsam begann, eigene Entscheidungen zu treffen. Selbst zu entscheiden, welches Messgerät, welchen Pen ich verwenden wollte. Die Geräte, die für MICH passten, dir mir gefielen. Und wenn sie mir nicht gefielen, dann klebte ich eben einen Cupcake-Sticker drauf. So begann die Obsession! 

Ich war auf dem richtigen Weg und mein Diabetologe bestärkte mich darin, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bei der Vereinbarung eines Folgetermins fiel im auf, dass ich diesen in meinem Smartphone notierte. Damals war das noch „Neuland“. Der Zufall wollte es: Er war gerade erst von der Diatec in Berlin zurückgekehrt und erzählte mir von den jungen Menschen mit Typ 1, die er dort getroffen hatte. Er reichte mir einen Flyer der Diabetes Online Community: “Sie sind ja so modern und digital unterwegs – vielleicht ist das hier etwas für Sie!“. 

Ein Flyer. Nicht sehr digital. Und zugegebenermaßen auch nicht sehr beeindruckend. Aber ich war interessiert! Das war der Anstoß den ich gebraucht hatte. Denn bei meinen darauffolgenden Internet-Recherchen eröffnete sich mir eine ganz neue Welt. Eine Welt, in der ich nicht mehr allein war, sondern in der ich mich mit Tausenden anderen Menschen mit Typ 1 verbinden und austauschen konnte. Ich war völlig überwältigt. Die Erkenntnis, dass selbst Menschen, die seit Jahren Diabetes haben und unendlich viel Energie in ihre Therapie stecken, trotzdem immer wieder richtige Scheißtage haben, öffnete mir die Augen: Keiner hat es so richtig drauf! Wir tun alle nur unser Bestes und werden immer wieder scheitern. Und das ist okay! Diabetes ist scheiße – und keiner von uns hat ihn sich freiwillig ausgesucht. All das muss ich mir auch heute noch immer wieder selbst sagen. Aber damals waren das für mich vollkommen neue Informationen. 

Für mich stand schnell fest: Ich wollte Teil dieser Community sein. Ich begann, mich in Facebook-Gruppen auszutauschen, nahm an dem ein oder anderen Tweetchat teil und bald kam auch die Idee, meinen eigenen Blog zu schreiben. Zunächst zögerte ich, doch auch hier kam wieder ein Impuls von außen. Während meines Studiums in Edinburgh bekam ich im Fach Online Marketing die Hausaufgabe, einen Blog zu starten. 

Ich musste also, aber ich wollte auch! Und ich habe es nicht bereut. Denn der Austausch mit euch da draußen ist für mich mittlerweile ein elementarer Teil meiner Diabetes-Therapie. Es hilft mir jeden Tag, die Höhen und Tiefen  des Leben mit Diabetes gemeinsam zu teilen. Frust abzulassen und auf Verständnis zu stoßen, aber auch Erfolge mit Menschen zu feiern, die sie wirklich verstehen. Ohne die Community habe ich nicht verstanden, wie komplex der Diabetes wirklich ist. Doch mit euch im Rücken weiß ich, dass wir das alle gemeinsam hinbekommen. Und dafür sage ich DANKE! <3

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Diese Geschichte erschien zuerst auf Steffis Blog www.pepmeup.org!